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der Tanzfläche zu, auf der das Trauerspiel unaufhaltsam seinem Hö-
hepunkt entgegenstrebte. Katja mühte sich nach Kräften ab, aber ihre
Bemühungen wirkten allerhöchstens noch mitleiderregend, nicht
einmal mehr tapfer, und auch der Prinz schien an den Grenzen seiner
Selbstbeherrschung angelangt zu sein. Seine Lippen zuckten immer
öfter, und auch seine Schritte hatten eine Menge von ihrer anfängli-
chen Leichtigkeit und Eleganz verloren; vermutlich hatte Katja ihm
ein paarmal zu oft auf die Füße getreten. Immerhin bewies sie dabei
eine erstaunlich Treffsicherheit.
Jemand trat hinter Kraftstein und räusperte sich gekünstelt. Kraft-
stein drehte sich herum und erblickte einen der Männer, die er drau-
ßen am Stadttor postiert hatte, um nach allem Ungewöhnlichem Aus-
schau zu halten. Er vergaß den Prinzen und seine tolpatschige Tanz-
partnerin. »Ja?«
»Es tut mir leid, Euch zu stören, Sir«, sagte der Mann unglücklich.
»Aber Ihr sagtet, ich sollte sofort zu Euch kommen, wenn - «
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»Ja, schon gut«, unterbrach ihn Kraftstein ungeduldig. »Was gibt
es?«
»Ein Mann ist draußen am Tor, Sir«, antwortete der Soldat. »Einer
der Bauern aus dem Wald. Er sagt, sein Hof wäre überfallen worden.
Von Reitern in Schwarz.«
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»In meinem ganzen Leben bin ich noch nicht so gedemütigt wor-
den!« sagte Katja. Das hieß - eigentlich sagte sie es nicht, sondern
schluchzte es immer und immer wieder, während sie vor dem Spiegel
stand und mit einem Zipfel ihres Kleides den Rest Schminke von
ihrem Gesicht zu wischen versuchte, den die Tränen noch nicht her-
untergewaschen hatten. »Noch nie! Nie! Nie!«
»Aber meine Liebe!« antwortete Nadja. »Ich verstehe nicht, wovon
du sprichst! Du warst einfach wunderbar.« Sie war ihrer Schwester
gefolgt, nachdem sie unter allgemeinem Hohngelächter von der
Tanzfläche geflohen war, stellte sich aber ganz bewußt so hinter sie,
daß ihr eigenes Gesicht im Spiegel nicht zu sehen war. Sie war nicht
ganz sicher, ob sie in diesem Moment wirklich noch überzeugend
lügen konnte. Sie hatte insgeheim Schlimmes erwartet, aber ihre
Schwester hatte ihre allerschlimmsten Erwartungen übertroffen.
»Wunderbar?« Katja kreischte fast. Die Tränen liefen immer
schneller über ihr Gesicht. »Das& das war ich ganz bestimmt nicht.
Ich bin ihm andauernd auf die Füße getreten, und ich mußte die gan-
ze Zeit über meine Perücke festhalten, weil sie nicht richtig gesessen
hat. Das ist überhaupt deine Schuld! Es war deine Idee, daß ich die-
ses Ding tragen sollte!«
Nadja widersprach nicht; ihre Schwester hatte recht. Allerdings war
die Perücke nun wirklich ihr allerkleinstes Problem gewesen&
»Wer weiß, was der Prinz jetzt von mir denkt!« fuhr Katja fort.
»Ich& ich habe mich bis auf die Knochen blamiert!«
»Er hat nicht einmal hingesehen«, behauptet Najda - was nicht
einmal eine Lüge war. Prinz Hendrick hatte sich während des gesam-
ten Tanzes krampfhaft bemüht, überallhin zu sehen, nur nicht in Kat-
jas Gesicht.
»Er hat nicht einmal hingesehen?« vergewisserte sich Katja.
»Nicht ein einziges Mal«, bestätigte Nadja. »Ich meine: Er hat nicht
auf deine Perücke geachtet. Er war damit beschäftigt, etwas ganz
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anderes zu bewundern.« Nämlich Ella, die die Unverschämtheit be-
sessen hatte, sich an diesem Abend an die Seite ihres Vaters zu set-
zen, fügte Nadja in Gedanken hinzu. Es wurde wirklich Zeit, daß sie
etwas gegen dieses impertinente Bauernmädchen unternahm.
»So?« fragte Katja zögernd. Sie weinte jetzt nicht mehr, sondern
zog wenig damenhaft ununterbrochen die Nase hoch.
»Nach dem Rest von dir. Deiner wunderbaren Figur, Schwester-
herz. Er war vollkommen fasziniert davon.«
»Wirklich?« fragte Katja. »Ich meine, du& du sagst das nicht nur,
um mich zu trösten?«
»Aber Schwesterherz?« antwortete Nadja mit einem zuckersüßen
Lächeln. »Würde ich dich jemals belügen?«
»Braucht Ihr mich jetzt noch, Herr?« fragte Ella. Ihrer Stimme war
nicht die mindeste Spur von Ungeduld anzuhören, obwohl der Graf
ganz genau wußte, wie sehr ihr die Zeit auf den Nägeln brennen
mußte. Dabei hatte er ihr schon zweimal gesagt, daß sie ruhig gehen
konnte; aber Ella hatte wohl auch gespürt, wie sehr er ihre Augen
jetzt brauchte, damit sie für ihn all die Dinge sah, die er nicht mehr
sehen konnte. Ella hatte sich sehr zurückgehalten, während der Prinz
mit Katja tanzte - was sie ihm von dem Geschehen berichtete, war
eine sehr schmeichelhafte Version dessen gewesen, was sich auf der
Tanzfläche wirklich abspielte. Doch was sie ihm nicht hatte sagen
wollen, hatte das allgemeine Gelächter dem alten Mann dafür um so
deutlicher erzählt. Seltsamerweise schien er allerdings nicht traurig
oder gar empört, sondern wirkte auf eine schwer zu beschreibende
Weise beinahe amüsiert. Wäre es nicht um seine eigene Tochter ge-
gangen, Ella hätte geschworen, daß in seinen Augen die pure Scha-
denfreude geschimmert hatte.
»Nein, nein, mein Kind«, antwortete er. »Laufe ruhig zu deinen
Freunden und amüsiere dich. Und viel Glück auch.«
Ella stand auf, aber sie zögerte noch einen Moment, die Hand des
Grafen loszulassen. Dann jedoch gewahrte sie Nadja, die in diesem
Moment am oberen Ende der Treppe erschien, sich einen Moment
lang suchend umsah und dann mit schnellen Schritten die Stufen
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herunterkam. Ihr Gesicht verdüsterte sich, als sie Ella an der Seite
ihres Vaters gewahrte.
»Wünsche deinen Freunden viel Glück von mir«, sagte der Graf.
»Und gebt euch tüchtig Mühe. Nach dieser Katastrophe hat der arme
Prinz eine kleine Aufmunterung verdient.«
»Das werde ich«, versprach Ella. Dann wandte sie sich rasch um
und verschwand mit schnellen Schritten in der Menschenmenge, kurz
bevor Nadja heran war.
Die Tochter des Grafen kam nicht allein. Der Reichskanzler hatte
sich ihr auf dem Wege angeschlossen, und obwohl der Graf ihn nicht
sehen konnte, verschwand sowohl sein Lächeln als auch der flüchtige
Ausdruck von Unbekümmertheit, der sich in Ellas Gesellschaft im-
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